Schwäbische Orgeltage 2010

Jauchzet und frohlocket

Kirchenkonzert - Bachs Weihnachtsoratorium erklingt in der Heilig-Geist-Kirche in Günzburg. Publikum spendet Bayerischem Symphonieorchester und Heilig-Geist-Ensemble reichlich Beifall.

von Helmut Kircher

Günzburg
Johann Sebastian Bachs beliebtestes Werk, sein sechskantatiger Christfestdauerbrenner "Weihnachtsoratorium", es ist die Heiligsprechung von Weihnachten in ihrer wirkungsvollsten - und wohl auch angenehmsten - Form. Bezogen zumindest auf in Klassik ergrate Temperamente, die turbogetriebene Popgeneration natürlich gibt sich in der Regel mit der Klingeltonversion zufrieden. Schade. Sie hätte in der Günzburger Heilig-Geist-Kirche noch leicht Platz gefunden bei der Version des Heilig-Geist-Ensembles. Leiter Thomas Bodenmüller und seine Musiker stellten das Eins-Sein von himmlischer Freude und irdischen Tönen auf eine ganz andere Ebene.

Donnernde Pauke, schmetternde Trompeten und rauschende Skalen der Geigen setzen den machtvollen Anfangsakzent des Werkes, mit dem das Bayerische Symphonieorchester München seine strahlkräftig leuchtende Visitenkarte abgab und im Sog der Klangfülle den Chor in weihnachtlich jubilierende "jauchzeit-frohlocket" -Stimmung versetzte. Weihnachtlich? 1733, ein Jahr vor der Niederschrift dieser Ersten von insgesamt sechs Kantaten, hatte Bach die Musik jedoch bereits komponiert un in der Geburtstagskantate zu Ehren seiner Kurfürstin Maria Josepha verwendet, zum Text "Tänet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten!". Und es blieb nicht die einzige "Wiederverwertung" früherer Gebrauchsstücke in seinem auf die Weihnachtsliturgie ausgerichteten neuen Werk, 16 weitere Male verfuhr er ebenso. Doch was letztlich daraus entstand, ist ein großes Stück geistlichen Musiktheaters im besten Sinne. Eine Art Weihnachtsoper, dem die "Librettisten" namens Lukas und Matthäus die nötige Weihnachtswürdigkeit unterlegten und so zu einem absoluten Spitzenplatz in der vokal-konzertanten Oratorienliteratur verhalfen.

Keine vordergründige Effekthascherei

Die Kantaten I, II und IV hatte Thomas Bodenmüller aufs Programm gesetzt, also den Begin der "himmlischen" Weihnachtsgeschichte rund um Bethlehem, dazu jenen "irdischen" Teil, der Beschneidungszeremonie und Namensgebung Jesu betrifft. Mit flüssigem Tempo ließ Bodenmüller agieren, umging so jede vordergründige Effekthascherei, hielt streng an seinem Duktus ungesüßlichter Darstellung fest und übertrug ihn auf sein Solistengespann.
Susanne Brattaberg setzteihn in ihrer Alt-arie "Schlafe, mein Liebster" einfühlsam um. Hauchzartes Piamissimo, federleicht und auf langem Atem gehalten. Ein Wiegenlied, das auf Engelsflügeln schwebt. Von Gustavo Martin-Sanchez - mit biegsam schlankem Tenor ein ausdrucksfähiger Evangelist - hätte man aber in seinem mit schwierigen Koloraturen durchsetzen Arien etwas mehr stimmliches Volumen gewünscht. Frank Wörner, ein strahlender markanter Bass mit dramatisch intensivem Potenzial, huldigte, in virtuoser Begleitung von Flöte und Solotrompete, koloraturenergisch dem "großen Herrn und starken König".
Mit einem Instrumentalsatz, der zu den schönsten Bachscher Eingebung gehört, beginnt Kantate II. Schwebend schwingende Farbigkeit, von Streichern, Flöten und Oboen auf beglückte Engel und staunende Hirten projiziert, zeichnet ein orchestral hingetupftes Bild pastoraler Volkstümlichkeit und himmlischer Heerscharen-Tonmalerei. Vom Dirigenten wohltuend unsentimental geerdet. Die junge Hanna Walther verkündete, von zarten Streicherakkorden getragen, mit sopranistisch himmelwärts schwingender Innigkeit "Fürchtet euch nicht", und für das heilig geist ensemble schlug mit dem chorischen Schwerpunkt des gesamten Oratoriums "Ehre sei Gott in der Höe" die Stunde der sanglichen Wahrheit. Intervallsprünge, dissonante Stimm-Überschneidungen, Sechzehntelketten, fugierte Themen. Sattelfest in allen Lagen und souverän über alle stimmlichen Hürden herrschend zeigte sich der glänzend präparierte vokale Klangkörper. Den Menschen wahrlichein Wohlgefallen.

Eine Glanzleistung abgeliefert

Und warum nicht, wie üblich, den Christusgeburtsteil des Oratoriums mit Kantate III komplettiert? Ganz einfach, weil den Zuhörern damit der Jesuskinddialog in Form einer Echo-Arie vorenthalten geblieben wäre, und damti eine Susanne Steinle, die stimmlich und Ausdrucksintensiv eine Glanzleistung ablieferte. Luftig zart, kindlich verspielt geben die Oboen das Thema in Klang und (Echo-) Nachklang vor. Die Sopranistin übernimmt die Melodie für ihren Dialog mit dem Heiland, und der gibt aus weiter Entfernung sein überirdisches "Ja/Nein" Antwortecho. Eine besinnlich-heitere Szene voll anrührender Wärme - doch wiederum "entliehen" einer Geburtstagskantate für einen kurfürstlichen Prinzen.
Schlusspunkt: Das jubilierend jauchzende Finale der Kantate VI "Nun seid ihr wohl gerochen" einer der prächtigsten aller Chorsätze des gesamten Werkes, dem der Solotrompeter ein virtuoses Glanzlicht aufsetzen durfte, und dafür mit berechtigten Bravos eines begeisterten Publikums belohnt wurde.

Unter Mitwirkung des Bayerischen Symphonieorchesters München und des Heilig-Geist-Ensembles erklang in der Heilig-Geist-Kirche Günzburg Bachs "Weihnachtsoratorium". Die Leitung hatte Thomas Bodenmüller. Das Publikum spendete am Ende begeistert Beifall.

aus: Günzburger Zeitung vom 21.12.2010

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