Schwäbische Orgeltage 2007

Auf den sanften Schwingen der Bekümmernis

Orgeltage in Günzburg - Viel Applaus für Brahms' "Ein deutsches Requiem"

VON HELMUT KIRCHER

Günzburg
Hinaus auf hohe See ging es bei den Schwäbischen Orgeltagen, Kurs: Schottland, Ziel: die sturmzerklüftete Fingalshöhle. Sie war es, die Felix Mendelssohn-Bartholdy zu seiner Konzertouvertüre "Die Hebriden" inspirierte.
Die Wellen schlugen hoch in der Heilig-Geist-Kirche. Blitze zuckten, Donner grollte, brüllend brachen sich die Wogen an den Klippen. Ab und zu aber sandten Fagotte, Bratschen und Violoncelli warme, erhellende Sonnenstrahlen über leise murmelndes Meeresrauschen, über wohlig wallendes Wellengeplätscher. Trotzdem, die Frage sei erlaubt: Warum musste Mendelssohn-Bartholdys romantisches Tongemälde als konzertanter Vorausbote herhalten? Ist das Brahms-Requiem zu kurz? Zu unvollkommen? Oder zu windstill?

Menschliches Requiem

"Ein deutsches Requiem" beschäftigte Johannes Brahms über ein volles Jahrzehnt. Deshalb verwundert es nicht, dass die Entstehungsgeschichte des Werkes - in dem Brahms nach eigenem Bekunden das Wort "deutsches" am liebsten durch "menschliches" vertreten gesehen hätte -noch immer nicht ganz geklärt ist. Der Tod der Mutter und seines Freundes Robert Schumann, so nimmt man an, hätten die "emotionalen Voraussetzungen" zu seinem Opus 45 im ohnehin schwermütigen Herzen des jungen Komponisten geschaffen. Vielleicht auch die schmerzliche Zuneigung zu Clara Schumann?
Mit der Sopranistin Ingrid Fraunholz, dem Bariton Steifen Balbach, dem heilig-geist-ensemble, dem Stuttgarter Ensemble musica viva und Thomas Bodenmüller am Pult geriet dieses Hauptwerk der Konzertreihe "Schwäbische Orgeltage in der Heilig-Geist-Kirche" zu einer spannungsgeladenen und mitreißenden Aufführung, die durchaus das Prädikat "Bemerkenswert" verdient. Eine Säkularisierung der christlichen Botschaft anhand von Bibelstellen aus dem Alten und Neuen Testament bildet die textliche Vorlage dieser siebensätzigen Totenandacht, in der weder der Erlöser Christus noch das Jüngste Gericht vorkommen. In deren Mittelpunkt vielmehr der Mensch steht, der sich in gläubiger Zuversicht in eine schöpferische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Tod begibt, um diesen durch Trost und Hoffung zu überwinden.

Frei aller mit süßlich-frömmelnder Erbaulichkeit drohenden Brahmschen Schwerfälligkeit, setzte Bodenmüller von Anfang an auf eine eher nüchterne Klangstruktur, ohne opulente Klischeeseligkeit, dafür mit spröder Innigkeit durchsetzt, mit feinherber, jeden Kontrastrhythmus hervorhebender Spontaneität. Im Besonderen davon geprägt: der zugleich kraftvoll und penibel agierende Chor. Wie anrührend gestaltet das sanfte Schwingen der Bekümmernis, das im vierten Satz Herrn Zebaoths liebliche Wohnungen umschwebte.

Sinnlich warm, mit filigraner Klarheit, begab sich Ingrid Fraunholz auf stimmlichen Höhenflug und kündete mit lyrischer Innigkeit: "Ihr habt nun Traurigkeit ..." Baritonkollege Steffen Balbach dagegen artikulierte Todesfurcht und Auferstehungs-Posaunenschall, mit männlich-sonorer Strahlkraft.
Das mit enormem Klangvolumen ausgestattete Stuttgarter Orchester brillierte durch klangliche Opulenz - trotzdem, so manches Mal drängte es sich doch ein wenig zu sehr in den Vordergrund. Man hätte das zarte Ausschwingen der Harfe am Ende des ersten Satzes gern etwas deutlicher vernommen, und im dritten
Satz den Chor und seine "Gerechten Seelen" auch. Dennoch: Es gab verdienten Jubel, Begeisterung und stehenden Applaus.

Applaus, Blumen und strahlende Gesichter: Johannes Brahms' "Ein deutsches Requiem" in der Heilig-Geist Kirche Günzburg war ein glänzender Erfolg beschieden. Unser Foto zeigt (von links) Dirigent Thomas Bodenmüller mit den Gesangssolisten Ingrid Fraunholz und Steffen Balbach.

Foto: Helmut Kircher

aus: Günzburger Zeitung

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