Schwäbische Orgeltage 2006
"Eine Stunde der Selbstfindung"
Schwäbische Orgeltage: Heilig Geist Ensemble Günzburg spielt Werke von Franz Schubert
Günzburg (kih).
Da hat nun ein waschechter Wiener seinen "reingeschmeckten" Kollegen tatsächlich des Platzes verwiesen. Nicht der große Mozart, trotz Geburtstagsjubeljahr, nein, ganz allein der "Drei-Mädlhaus"-Franz Schubert stand, haargenau am 778. Jahrestag seines Todes, auf dem Programm des dritten Veranstaltungstages der "Schwäbischen Orgeltage 2006" in der Heilig Geist Kirche Günzburg. Mit der Aufführung der Symphonie Nr.4 in c-Moll (D 417) und der Großen Festmesse in Es-Dur (D 950) versprach Stadtpfarrer Ulrich Däubler bei der Begrüßung "eine Stunde der Selbstfindung und Gottbegegnung".
Wer will, kann das durchaus so sehen. Man könnte mit Fug und Recht beide Werke aber auch unter das Motto ,Licht und Schatten' stellen. Schon die Bezeichnung "Tragische", die der 19-jährige Schubert seiner 4. Symphonie gegeben hat - so mancher bezweifelt das allerdings -, würde dieser Einschätzung gerecht. Allerdings reichen die Schatten der
Düsternis gerade mal bis zum Ende der Adagio-molto-Einleitung des Kopfsatzes. Damit hat sich dann alle Tragik erschöpft. Ab da herrscht nur noch die kraftvolle Anmut ungebrochener Jugend. Die Musiker des Ensembles "Musica Viva Stuttgart" lassen ihr auch ungebrochen Lauf, gehören sie doch weit gehend derselben Altersgruppe an. Und Thomas Bodenmüller am Pult enthält sich aller betulichen Weltgeistmentalität, gibt ein flottes Tempo vor, belässt dem Andantesatz seine leicht melancholische Note und animiert die erstaunlich diszipliniert Und mit melodischer Kraft aufspielenden Jungmusiker im Menuett und Allegro zu behänder, ja fast mozartischer Leichtigkeit.
Die Ewigkeit war Schuberts Sache nicht. Im letzten Jahr (1828) seines wechselvollen Lebens, schwer krank, dem Sterben nahe, erhoffte er sich Erlösung vom Tod und schrieb ein Ausnahmewerk romantischer Kirchenmusik, seine Es-Dur Messe. Zwar nur wenige Takte lang, aber ergreifend und wunderschön, der lyrische Vorspruch des Kyrie. Über der
Wolke einer sanft fließenden Melodie aus dem Orchester schwebt chorisch-homophoner Schönklang. Das nicht minder ergreifende, doch um vieles klangprächtigere Gloria beendet alle vokale Homophonität.
Gefühl für Klangfarben
Die polyphone Vierstimmigkeit hält Einzug und mit ihr, "cum sancto spiritu", die fugale Chor-Realität, die sich im Credo gar zu einer
der längsten Fugen der klassisch-romantischen Messekompositionen auswächst. Eine Herausforderung für das neu formierte und sich in chorisch imposanter Größe darbietende Heilig Geist Ensemble. Ohne in übereifrigen Interpretationskult zu verfallen, beweist es Gefühl für wechselnde Klangfarben, präsente Tongebung, kraftvolle Fortissimoerregtheit und kann sich in ebenmäßigstem Schönklang verlieren.
Den Gesangssolisten Dorothee Babst (Sopran), Annette Beck (Alt), Jochen Schäfer (Tenor I), Jörg Aldag (Tenor ll) und Volker Spiegel (Bass) hat Schubert in seiner Es-Dur Messe kein allzu großes Betätigungsfeld eingeräumt. Deshalb sind sie, wohl auch um ihn stimmlich zu unterstützen, innerhalb des Chores positioniert. Ihr erster Einsatz steht ihnen im Credo bevor. Zu weichem Orchesterklang, begleitet vom rhythmisch pointierten Pizzicato der tiefen Streicher, stimmen sie nacheinander in das kanonartige, lyrisch schöne "Et incarnatus est" ein, das der Chor im anschließenden "Cruzifixus" zu Moll-Schmerz mit vokalem Fortissimo-Aufschrei wandelt. Da Schubert den Messetext in verkürzter Form vertont hat, kommt man beim Mitlesen im voll angegebenen Text des Programmheftes gelegentlich ins Schleudern. Auf das Glaubensbekenntnis "credo in unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam" wartet man vergebens. Der tief gläubige Schubert hat es in keiner seiner Messen vertont. Ausdruck seines vielfach geäußerten Zweifels an der Institution Kirche und ihren,
von ihm so empfundenen, Dogmen und Äußerlichkeiten.
Die Verknüpfung von Menschwerdung und Kreuz, paradiesischer Freude und irdischem Schmerz, Glück und Leid, Licht und Schatten spiegeln sich in diesem Werk Schuberts auf musikalische Weise als Kehrseite menschlicher Existenz.
Bodenmüllers Intension, alle dämmrige Sakralaura von ihm fern zu halten, ist, im Ganzen gesehen, durchaus geglückt. Dank der Verlässlichkeit und beachtlichen Ausdrucksfähigkeit des Ensembles musica viva, dank des präzise formulierenden Heilig Geist Ensembles und seiner Fähigkeit zu affektgeladener Gestaltung. Eine Aufführung aus einem Guss, vom himmlischen Jauchzen und gigantischer Fugenherrlichkeit' bis zum tröstlich hoffnungsvollen und doch so zerbrechlich zaghaften "dona nobis pacern".
Stehender Applaus und Bravorufe für den Dirigenten.
Großer Publikumserfolg für Franz Schuberts 4. Symphonie und seine Große Messe in Es-Dur bei den "Schwäbischen Orgeltagen 2006" in der Heilig Geist Kirche Günzburg. Ausführende waren der Chor des Heilig Geist Ensembles, das Orchester Musica Viva Stuttgart und ein Ensemble aus fünf Gesangssolisten. Die Gesamtleitung hatte Thomas Bodenmüller.
Bild: Kircher
aus: Günzburger Zeitung