Musikalischer Herbst 2005
Romantischer Glanz
Abschluss des Musikalischen Herbstes mit Schumann und Mendelssohn Bartholdy
Günzburg (kih).
Wer abseits von kraftmeierischem Leidenschaftstrubel oder kirchenmusikalischer Seelenlastigkeit, die Leichtigkeit des Seins, die Lieblichkeit beschwingter Elfenmelodien, die Anmut der hin träumenden Seele sucht, der war beim Abschlusskonzert des "Musikalischen Herbstes" in der Heilig Geist Kirche Günzburg genau richtig. Er befand sich sozusagen im Obergeschoss deutscher Romantik, in dem Robert Schumann und Felix Mendelssohn Bartholdy Hand in Hand, klangzaubemd, durch die melodienrauschende Gefühlswelt erhabener Harmonien schlenderten.
Die a-Moll-Gewichtigkeit in Schumanns Konzert für Klavier und Orchester op. 54 kommt, ohne weltschmerzelegischen Beigeschmack, in gereifter, lyrisch-expressiver Leichtigkeit daher. Die japanische Pianistin Hisae Nagakura - fast schon eine "Heilig Geistlerin" wie Stadtpfarrer Däubler sie in seiner Begrüßung nannte - mischte selbst dem energischen Fortissimoeinstieg einen Hauch femininer Sinnlichkeit bei. Erstaunlich ihr asiatisches Feingespür für deutsche Romantik. Nie zelebrierte sie anbiedernd romantisierenden Wohlklang, flüchtete sich in eine verzärtelte Aneinanderreihung klangverführerischer Episoden. Sie verfügt vielmehr über einen sehr vitalen Instinkt für die große Linie; eine beinahe perfekte Balance zwischen nuanciert ausgefeilten Details und gezielt zupackender Virtuosität. Vor allem geht sie hingebungsvoll ein auf die von Schumann geforderte Zweisamkeit mit dem Orchester. Was für ein lustvoller, federleichter Dialog mit der Oboe, was für eine subtile Raffinesse im Umschmeicheln der Celli - und was für ein bravouröser Tastenzauber im erregenden Klangrausch des Schlusssatzes.
Im Gegenzug fühlte sich auch das aus München angereiste Orchester Dieter Sauer, mit allen Spielarten romantischen Bewusstseins, in das leidenschaftliche Miterleben und die wechselvolle Seelenlage der Pianistin ein. Orchestrale Farbenfülle und solistische Sensibilität, vereint zu herzbewegendem Beziehungszauber.
Um die Brücke zu Felix Mendelssohn Bartholdy zu bauen, sei erwähnt, dass ebendieser am Neujahrstag 1846 Schumanns a-Moll-Klavierkonzert - mit der weltbekannten Pianistin Clara Schumann (Robert Schumanns Ehefrau) - als Dirigent zur Leipziger Erstaufführung brachte. Beim Konzert in Heilig Geist indes war der "Mozart des 19, Jahrhunderts" - so wurde Mendelssohn von Schumann einst betitelt - mit den beiden Psalmkantaten "Kommt, lasst uns anbeten" (Psalm 95) und "Wie der Hirsch schreit" (Psalm 42) vertreten. Zur Verstärkung des heilig geist ensembles hatte Chorleiter und Dirigent Martin Schwingshandl chorische Verstärkung aus Baldham bei München, wo er ebenfalls als Kirchenmusiker und Chorleiter tätig ist, mitgebracht. Mit solch vokaler Potenz lässt es sich natürlich herrlich zum satten Forte steigern, lässt sich ein fantastisch volltönender, geschmeidiger, dynamisch über alle Ecken und Kanten chorischer Vielstimmigkeit hinwegsetzender Klangkörper formen. Und ein Dirigent, der wie Martin Schwingshandl ein Gefühl für Klangfarbengebung, ein Faible für Atmosphäre und einen Hang zu Drive und Schwung hat, weiß diese Komponenten auch entsprechend einzusetzen.
Wohltuend exakt
Noch dazu wenn er auf die stimmliche Leistungsfähigkeit seiner Gesangssolisten zählen kann. Und das konnte er, mit dem männlich dunkel timbrierten tenoralen Glanz den Thomas Helm, wohltuend exakt prononcierend, zum Leuchten brachte, mit der gefestigten Höhe und metallischen Strahlkraft von 1. Sopranistin Sophia Brommer, und der zwar stimmlich weniger voluminösen, doch mit geschmeidiger Eleganz modellierenden Annette Müller (2. Sopran).
Zu Höhepunkten in den von romantischem Wohlklang gesättigten Psalmvertonungen, deren zweifellos vorhandene dramatische Zugluft Schwingshandl, wo nötig, deutlich strukturierte, gerieten in Psalm 95 das unter die Haut gehende Schlussstück "Heute, so ihr meine Stimme höret" und das abgeklärt schöne Quintetto in Psalm 42 mit abschließendem, hinreißend schmerzbeladenen Chorsatz "Preis sei dem Herrn".
Keiner vermag so viel betörenden Schmelz in der Trauer zu tragen, wie Mendelssohn in seinen Psalmen.
Viel Beifall für den von romantischem Wohlklang geprägtem Abschluss der Konzertreihe "Musikalischer Herbst" in der Günzburger Heilig Geist Kirche durften Dirigent, Orchester, heilig geist ensemble, Schola Baldham und die Solisten in Empfang nehmen. Von Links: Thomas Helm (Tenor), Martin Schwingshandl (Dirigent), Annette Müller (Sopran II), Sophia Brommer (Sopran I) und Hisae Nagakura (Klavier)
aus: Günzburger Zeitung vom 21.11.2005
Klangfarbenspiel auf der Orgel
Nach dem fulminanten Einstieg mit Saxophon und Klavier und einer begeistert aufgenommenen G-Dur-Messe von Franz Schubert, stand nun die Orgel im Mittelpunkt des "Musikalischen Herbstes", veranstaltet von der Heilig Geist Kirche Günzburg. Gelegenheit für Martin Schwingshandl (29) - seit Beginn des Jahres zuständig für die Kirchenmusik und Leitung des heilig geist ensembles -, sich als tasten- und konzerterfahrener Solist auf der Königin der Instrumente vorzustellen. Neben den "Orgelklassikern" Johann Sebastian Bach und Felix Mendelssohn-Bartholdy hatte er vor allem Komponisten ins Programm genommen, denen nicht so sehr Liturgisch-Geistvolles aus der Feder floss, sondern deren Klangsprache sich an den Facetten des Menschlichen orientiert, an der Kraftmeierei des Alltäglichen und der Noblesse des Vergnüglichen. Louis James Alfred Lefébure-Wély (1817-1869) etwa, der mit seinem Es-Dur-Marsch oder seinem "Auszug" in fast pianistischem Salonstil für das heiter Diesseitige, turbulent Lustige in der Kirche sorgte. Bemerkenswert auch Léon Boellmann (1862-1897) mit seinem unsentimental innigen "Priere a Notre Dame", oder der blinde Louis Vierne (1870-1937) der mit "Carillon de Westminster" auf frappierende Weise die Viertonmelodie des Big Ben der Westminster Kathedrale über die Orgeltasten in mächtige, raumfüllende Glockenschwingungen versetzt.
Technisch virtuos und mit allen Registern schillernder Klangentfaltung stellte sich Schwingshandl den Interpretationsmöglichkeiten dieser ungewöhnlichen tonalen Orgelweiten, die bis zu Edward Elgars final-pompösem Militärmarsch "Pomp und Circumstance" führten oder dem von süßlichem Weihnachtszauber umhüllten Tanz der Rohrflöten in Tschaikowskys "Nussknacker".
Text/Bild: Helmut Kircher
aus: Günzburger Zeitung vom 26.11.2005