Musikalischer Frühling im schwäbischen Barockwinkel 2008

Die Entstehung der Welt als musikalisches Bilderbuch

Musikalischer Frühling Haydns "Die Schöpfung" in der Günzburger Heilig Geist Kirche

Von HELMUT KIRCHER

Günzburg
Zum vierten Mal innerhalb der vergangenen Jahre war es zu hören, Joseph Haydns Oratorium "Die Schöpfung", diesmal aufgeführt zum "Musikalischen Frühling" in der Heilig-Geist-Kirche Günzburg. Beeindruckend in Szene gesetzt vom "heilig geist ensemble" unter Thomas Bodenmüller und von einem begeisterten Publikum verdientermaßen mit stehendem Applaus belohnt.
In das Preislied über Haydns "Alterswerk" - er war bereits 65, als er es schrieb - mischte sich ins helle Jubel-Dur nach der Uraufführung 1798 durchaus auch dissonantes Moll. Vom großen Friedrich Schiller stammte es unter anderem, denn der hatte wenig Freude an diesem, wie er schrieb, "charakterlosen Mischmasch". Doch, befriedigt nehmen wir's zur Kenntnis, auch große Geister können irren. "Ein Werk, wie es in dieser Weise kein zweites Mal möglich ist" tönte es dagegen aus anderem, nicht weniger berufenem Munde. Auf seiner zweiten Londonreise l794/95 kam Haydn mit dem Text, John Miltons ",Paradise Lost", in Berührung. Grundlage für einen Schaffensrausch ohnegleichen, der in eine von schwelgerischem Melos getragene Welterschaffungseuphorie mündete und die Genesis auf die simpelste aller Grundlagen stellte; die Entstehung der Welt als musikalisches Bilderbuch - mit einem Paradies ohne Sündenfall.

Wohltuend klare Linie am Dirigentenpult

Gott erschuf die Welt. Und Joseph Haydn das Chaos. Aus einer einzigen Note schuf er es, dem C. Baute es über mehrere Oktaven auf zu einem gewaltigen Donnerschlag, einer Art Urknall, wenn man so will. Dementsprechend steht er als Urbeginn allen Seins am Anfang des dreiteiligen Oratoriums. Nebulöse Harmonien, zarte Dissonanzen, mystische Unschärfe zeichnen die "Vorstellung des Chaos", aus dem heraus wenig später der Chor, Pauken und Trompeten unterstützt, sich wiederum in eine C-Dur-Explosion stürzt. Der Berühmtesten und Überwältigendsten der Musikliteratur.

Thomas Bodenmüller am Pult war akribisch darauf bedacht, die Farbe nicht allzu dick aufgetragen, oder in wallenden Gefühlen wonniglich zu baden. Wohltuend seine klare Linie, eher auf kammermusikalische Schlankheit bedacht als auf barocken Überschwang. Vom Stuttgarter Ensemble "musica viva" erfuhr er orchestral zuverlässige Unterstützung. Das glänzend vorbereitete "heilig geist ensemble" ließ, "schöpfungs"-erfahren und einsatzfreudig, insbesondere dort aufhorchen, wo die sängerischen Hürden am höchsten sind: in der wuchtigen Chorfuge "Vollendet ist das große Werk", oder dem mal opulenten "Des Herren Ruhm".

Gespür für alle Facetten vokaler Klangfarbendramaturgie konnte man dem Gesangssolistentrio bescheinigen. Mit tenoral farblichem Duktus schwang sich Richard Beuter (Uriel) ins hymnische "Und Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbilde".
Als ein Bass der Superlative stellt sich Runi Brattaberg (Raphael und Adam) dar. Seine stimmliche Substanz (plus phonetische Prägnanz) trägt ihn sowohl in metallisch strahlende Höhen wie auch kernig voluminöse Tiefen. Wie kraftvoll brüllte der Löwe, wie sanftweich weidete das Schaf und in welch Dunkel bodenloser Tiefe krümmte sich das Gewürm. Klasse!
Sopranistischer Höhenglanz und lyrische Gestaltungslust entströmte dem "reizenden Gesang" der Nachtigall, girrte Koloratur verziert aus der Kehle Danuta Debskis (Gabriel und Eva). Der Liebe flocht sie dabei inniglich vokale Kränze - obwohl der Mensch in Form von Adam und Eva noch gar nicht erschaffen war.

Das geschieht erst im dritten, dem Paradies- Teil. Mit lediglich ein paar wenigen Cembalo-Rezitativtakten. Und Haydn sah, dass es gut war. Weniger gut: dass in der "heilig-geist-Fassung" dafür das Klavier benutzt wurde. Der Garten Eden, Adam und Eva, Hand in Hand, schwelgend in opernhafter Liebesseligkeit. Wie groß, wie wunderbar ist ihrer Stimmen Werk. Wohllautgesättigt und emanzipationsfrei entströmt es ihr: "Dir gehorchen bringt mir Freude, dir gewidmet ist mein Leben" und er, männlich bescheiden: "Nun folge mir, Gefährtin meines Lebens." Wie meinte doch Schiller? Egal!

Übrigens: Dieser dritte Teil wurde in früheren Zeiten oftmals gestrichen, die Aufführung in Kirchen überhaupt verboten. Joseph Haydn gelang mit seiner musikalisch universell einsetzbaren Fantasie eine nahezu perfekte Schöpfung. Aus heutiger Sicht müsste man sie wohl mit anderen Vorzeichen versehen.

Eine beeindruckende Aufführung von Haydns Oratorium "Die Schöpfung" in der Günzburger Heilig-Geist-Kirche. Heilig geist ensemble, Orchester "musica viva Stuttgart" sowie die Gesangssolisten Danuta Debski, Richard Beuter und Runi Brattaberg (von links) wurden geleitet von Thomas Bodenmüller.

Foto: Helmut Kircher

aus: Günzburger Zeitung

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