Musikalischer Frühling im schwäbischen Barockwinkel 2007
Wie viel Messias verträgt der Mensch?
Musikalischer Frühling im Schwäbischen Barockwinkel mit dem Händel-Oratorium glanzvoll eröffnet
Von Helmut Kircher
Günzburg
Halleluja! Nach einem globalen Mozartmarathon endlich wieder Händel, Endlich wieder "Messias". Hundert, alle Finessen der Interpretationskunst voll ausschöpfende Gesamtaufnahmen dieses Barockevergreens gibt es schon, Tausend Halleluja-Variationen, vokal, instrumental, katastrophal, auch, Jeder halbwegs gesangfähige Chor hat das " Oratorium aller Oratorien" schon aufgeführt, mehrfach. Kann man angesichts dessen denn an diesem vertonten Bibelepos noch irgendetwas neu interpretieren, gar neu entdecken? Nein, kann man nicht. Muss man aber auch nicht! Eigentlich genügt es schon, Georg Friedrich Händels "Messiah" - eine wahre Explosion kompositorischer Inspiration, geschaffen in der Rekordzeit von dreieinhalb Wochen - in seiner schlichten Grandiosität einfach zu Gehör zu bringen. Thomas Bodenmüller und sein heilig geist ensemble haben diese Aufführungsform gewagt und sind nicht schlecht dabei gefahren.
Viel vorauseilendes Lob gab es bei der offiziellen Eröffnung des "Musikalischen Frühlings im Schwäbischen Barockwinkel" in der Heilig-Geist-Kirche Günzburg. Der Hausherr, Stadtpfarrer Ulrich Däubler, lobte den Sponsor Sparkasse Günzburg, Schirmherr Landrat Hubert Hafner die "hochanspruchsvollen Werke", die das Musikpublikum quasi vor der Hautür zu Gehör bekomme, Oberbürgermeister Gerhard Jauernig die "qualitätsmäßig hohe Auftaktveranstaltung" und die Kürze der Grußworte ("damit einen jeder mag"). Das nahm sich offensichtlich auch Chorleiter und Dirigent Thomas Bodenmüller zu Herzen und kürzte das Zweieinhalbstundenwerk um einige Arien und Chorsteilen auf exakt zwei Stunden. Mancher mag dies vielleicht bedauert haben, legitim ist es dennoch. Warum er aber der englischen Originalfassung (deren Text ausschließlich der englischen Bibel entnommen ist), eine nicht immer sehr geglückte deutsche Übersetzung vorgezogen hat, ist weniger verständlich, und eigentlich zu bedauern.
Händel verbindet in seinem "Messiah" eindrucksvoll die Klangpracht englischer Chormusik mit der Kontrapunktik deutscher Passionsmusik und der opernhaften Dramatik italienischen Stils. Bodenmüller am Pult war von Anfang an darauf bedacht, sowohl jede übertriebene Anwandlung romantisierender Frömmigkeit als auch allen überheroischen Bomast zu vermeiden. Man darf es ruhig vorwegnehmen: Es gelang ihm eine plastisch geformte Messias-Aufführung, zielgerichtet auf schlanken, entschlackten Ton, mit großem Bogen und Atem musiziert, enorm spannend und stilvoll. Frisch zupackend und doch feierlich in der "Grave"-Einleitung der "Sinfonia", mit tänzerischem Esprit in der dreistimmigen Fuge des "Allegro moderato", gab die Orchestervereinigung Dillingen ihre instrumentale Visitenkarte ab. Im weiteren Verlauf erwies sie sich als verlässlicher, sensibler, nie in den Vordergrund drängender Partner chorischer oder solistischer Sangesbegleitung.
Als erster des Gesangssolisten-Quartetts kam Sebastian Schmid in der Tenorarie "Alle Tale macht hoch erhaben" zu stimmlich gediegenem Koloraturjubeleinsatz. Das Warten auf den rettenden Lichtstrahl schilderte Tomy Wendt, kontrastreich und modulationsstark, in seiner viel Ausdrucksfähigkeit verlangenden Bassarie "Das Volk, das da wandelt im Dunkel"': Den Schmerz in "Er ward verschmäht" kleidete Altistin Iris Lutzmann allein in ihre warmherzige Stimme, kaum aber in zum Ausdruck gebrachte Qual, oder aufwühlende Pein. Bis in strahlende Sopranhöhen kostete Anette Sailer-Heidel den Koloraturenreichtum im "Erwache, frohlocke" aus, und mit jugendlicher Frische unterlegte sie die berührend pastorale Melodie einer der schönsten Messias-Arien "Er weidet seine Herde".
Das eigentlich Neue an seinem "Messiah" war, dass Händel dem Chor die tragende, die zentrale Stelle zuwies. Das heilig geist ensemble nahm diese Herausforderung bravourös und ohne jegliche Abstriche an. Stimmlich topfit bewegte es sich innerhalb eines Ausdruckradius, der von klangprächtig und dynamisch, bis tadellos artikuliert und lebendig interpretiert reichte. Intonationssicher und schwerelos setzten sie über vertrackteste polyphone Hürden, über komplizierteste fugale Klanggespinste. Und dann natürlich das hymnische Kernstück, der himmelhochjauchzende Dreh- imd Angelpunkt des Oratoriums, das berühmteste Chorstück der Welt, das "Halleluja". Wem liefe bei diesem, von Pauken und Trompeten in die Höhe gejubelten, melodischen Herzensbrecher wohl nicht eine wohlige Gänsehaut über seine musikalische Befindlichkeit. Vergessen sein dauerdudelnder Weihnachtseinsatz, ohne den wohl jegliche Verkaufsstrategie zusammenbrechen und man sich die bange Frage stellen müsste: Wie viel Messias verträgt der Mensch? Nicht vergessen: Das Sonderlob für die prächtigen "Posaunen"- Töne des Solotrompeters, und die chorisch furios-kräftige und prunkvoll-messianische Schluss-Apotheose des Werkes, die Amen-Fuge.
Mit stehendem Applaus bedacht: Georg Friedrich Händels "Der Messias", Eröffnungsaufführung zum "Musikalischen Frühling im Schwäbischen Barockwinkel" in der Heilig-Geist-Kirche Günzburg unter der Gesamtleitung von Thomas Bodenmüller.
Bild: Helmut Kircher
aus: Günzburger Zeitung