Großes Classic Open Air 19.06.2004

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Begeisternde "Schlechtwetter-Variante"

Der Musikalische Frühling verabschiedet sich in der Heilig-Geist-Kirche mit einem Paukenschlag

Von unserem Mitarbeiter Helmut Kircher

Günzburg
Es hätte so schön sein können. Kuschelige Klassik als Open Air Event. Der süße Duft einer lauen Sommernacht erfüllt von lyrischem Wohllaut, vom Klangzauber Mozarts und Beethovens. Eine elegische Vision aus Raum, Klang und Feuerwerk. Aber, nun ja - Schwamm drüber! Wettermäßig kann man ja über den Schwäbischen Barockwinkel durchaus geteilter Meinung sein, was dagegen seine musikalische Potenz anbelangt, darf, ja muss man ihm ein Dauerhoch bescheinigen. Welch andere Region hat, in solch ausgewogener Vielfalt, Ähnliches zu bieten? Es darf gesucht werden. Ein Beweis mehr: das Abschlusskonzert des diesjährigen "Musikalischen Frühlings" in der Heilig Geist Kirche Günzburg (Schlechtwettervariante) unter Leitung von Bernhard Löffler.

Beethovens Egmont-Ouvertüre (op. 84) bildete gewissermaßen den "Kopfsatz" dieses dreiteiligen Konzertabends. Sie ist Teil einer aus mehreren Stücken bestehenden "Theatermusik" die der Komponist zu Goethes Trauerspiel Egmont geschrieben hat und zeichnet in einer Art "Siegessymphonie", melodisch beseelt von innigem Ausdruck, die Idee der Freiheit nach. Weiche Pianissimopassagen münden in suggestiven, schmerzlich erfüllten Streicherrhythmus, immer wieder beherrschen kantable Bläsermotive die Szene. Im
Ganzen spiegelt sich in diesem kurzen (etwa neunminütigen) Gefühlszustand - sehr zum Wohle des Zuhörers - mehr die Anmut edler Motivik als aufbegehrender Kämpferdrang. Ganz auf Sommerabendserenade eingestimmt dann Wolfgang Amadeus Mozarts bekanntes und beliebtes G-Dur Konzert für Violine und Orchester (KV 216).
Ein geradezu prickelndes Gefühl musikalischer Wollust entfachte vor allem Violinsolist Rudolf Fatyal, wenn er im Allegrosatz in heiter aufblitzender Klangfülle schwelgte, sich - ohne dabei allzu Süßliches zu forcieren - dem Adagio mit geigerischem Schmelz und anrührender Wärme hingab. Schon auf grund seiner virtuos und technisch brillant gestalteten Kadenzen war ihm der begeisterte Applaus des Publikums sicher. Herzstück und Höhepunkt natürlich Ludwig van Beethovens Opus 125, seine Sinfonie Nr. 9 in d-Moll.

Zu des Komponisten Zeiten war sie die längste und gewaltigste die je geschrieben wurde, doch lange Zeit, wegen der vokalen Anreicherung des Schlusssatzes, nicht unumstritten. Es gab Dirigenten, die sich schlichtweg weigerten dieses "unsinfonische" Finale aufzuführen. Richard Wagner - ein glühender Anhänger Beethovens - sprach gar von einem "Bankrott der Sinfonie". Heute wird jener 4. Satz mit der Vertonung von Schillers "Ode an die Freude" gemeinhin als der Höhepunkt dieser unvergleichlichen Komposition angesehen, kommt als "Europahymne" sogar zu international hochoffiziellen Ehren. Über die musikalische Qualität von Beethovens Neunter gibt es nichts zu diskutieren, was allerdings nicht ausschließt, dass sie nach wie vor die größte und spannungsvollste Herausforderung für Orchester, Gesangssolisten, Chor und Dirigenten darstellt.

Und das war das eigentlich Überraschende und - man darf es ruhig bekennen - auch das Beglückende, das diesen Konzertabend zum musikalischen Ereignis (auch ohne Pyrotechnik) machte: die Souveränität und absolute Einsatzbereitschaft, mit der sich das Philharmonische Orchester Sathmaar (Rumänien), die vier Gesangssolisten Ingrid Fraunholz, Liat Himmelheber, Vincent A. Lübeck, Thomas Pfeiffer, das heilig geist ensemble und Dirigent Bernhard Löffler dieser Herausforderung stellten und vor allem, wie sie sie meisterten.

Spannend, wie Löffler, hochmotiviert und feinnervig, die sinfonischen Zusammenhänge analysierte, sie in ihrer konfliktreichen Charakteristik beließ, trotz hoher tempi nie überhastete, wie er vor allem das hinreißende Adagio gänzlich ohne Espressivo-Drücker konsequent "molto cantabile" hielt und wie das spielerisch glänzend aufgelegte Orchester famos, willig und punktgenau auf ihn einging.

Die Vokalsolisten stellt Beethoven vor keine allzu leichte Aufgabe, schon allein wegen der langen Wartezeit bis zu ihrem relativ kurzen aber umso heikleren Stimmeinsatz. Thomas Pfeiffer (Bass) gelang, nach dramatisch effektvollen orchestralen Akkordschlägen, ein stimmlich wie ausdrucksmäßig mitreißender sanglicher Einstieg auf die (nicht von Schiller sondern von Beethoven selbst stammenden) Worte: "O Freunde, nicht diese Töne! Sondern lasst uns angenehmere anstimmen, und freudenvollere!"

Das Orchester folgt der Aufforderung, stimmt sie an, die Melodie der Freude, der Brüderlichkeit, des ekstatischen Hymnus. Vincent Lübeck formulierte sie durch tenorale
Strahlkraft mit, Ingrid Fraunholz, die gefürchtete Sopranpartie in gefürchtete Höhen jubilierend, gesellte sich dazu, Altistin Liat Himmelheber fügte sich ergänzend ein und der Chor, mit überwältigender Stimmkraft, präsent und intonationssicher, prekäre Höhen und ineinander verschlungene Melodieführung mühelos meisternd, steigerte sich mit "Freude, schöner Götterfunke", mit "Seid umschlungen Millionen" und unterstützt von überschäumendem Orchestertutti, hinauf zu entgrenzendem Jubel in sinfonischem Überschwang.
Und der setzte sich fort in "standing ovations" eines begeisterten und fast nichtendenwollend-applaudierenden Publikums.

Bild:Christina Bleier

Ein beeindruckender Schluss-Akkord für den Musikalischen Frühling: Das Abschlusskonzert des diesjährigen "Musikalischen Frühlings" in der Heilig Geist Kirche Günzburg unter Leitung von Bernhard Löffler.

aus: Günzburger Zeitung vom 22. Juni 2004

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