Abschlusskonzert der Schwäbischen Orgeltage 2002

Totentrauer in Watte gepackt

Zum Abschluss der Orgeltage eine Haydn-Sinfonie und das Requiem von Gabriel Fauré

Von unserem Mitarbeiter Helmut Kircher

Günzburg

Ihr Altersunterschied beträgt mehr als 100 Jahre, stilistisch gesehen sind sie sogar nochweiter voneinander entfernt - und doch ließ Bernhard Löffler sie das Abschlusskonzert der Schwäbischen Orgeltage 2002 in der Heilig Geist Kirche Günzburg gemeinsam bestreiten: Joseph Haydn (1732-1809) und Gabriel Fauré (1845-1924). Warum? Genau betrachtet haben sie - besser gesagt ihre beiden zu Gehör gebrachten Werke - durchaus eine Gemeinsamkeit, wenn auch eine gegenteilige. Haydns Sinfonie Nr. 49 ist Hofmusik, jedoch im Trauergewand und Faures Requiem Totentrauer, jedoch in Watte gepackt.

 

Es war seine letzte Sinfonie, die Haydn (1768) im so genannten Kirchensonatentypus komponierte und die er "LaPassione" nannte. Er schrieb sie 1768 für seinen Arbeitgeber Fürst Esterházy und dessen Hofstaat. Was bedeutet, dass durch einen Trauerflor im Adagio-Kopfsatz dieser Sinfonie der "Leidensfähigkeit" bei Hofe bereits Genüge getan ward, dass Allegro di molto, Menuett und Finale presto sich dafür reichlich mit Spangen und Rüschen schmücken durften, in glänzender Seide - schwarzer natürlich, und mit Moll parfümiert. Musikalisch gesehen so etwas wie ein tristes Gartenfest bei strahlendem Regenwetter.

Gute Gelegenheit, Auge und Ohr dem Orchester zuzuwenden. Es kommt aus dem rumänischen Sathmaar (Satu Mare), war schon mehrfach in Günzburg zu Gast und ist mit Dirigent Bernhard Löffler ein gut aufeinander eingespieltes Gespann. Seit mehr als zehn Jahren kennen und schätzen sie sich gegenseitig. Herausragendes Merkmal dieses Klangkörpers: Er besticht durch sein musikalisch kultiviertes Erscheinungsbild, getragen von einem wunderbar weichen, satten Streicherklang.

Und den wusste Löffler punktgenau umzusetzen in das filigran duftige Geflecht, in die zarten Pastellfarben Faurescher Linienführung. Fernab jeglicher Rache-Utopie, Höllenqualandrohung und Gotteszorn schrieb Gabriel Faure ein defensives, ein geradezu liebevolles Requiem. "Es ist so sanftmütig wie ich selbst".charakterisierte er es, denn er sah, so sagte er einmal, im Tod kein schmerzliches Erlebnis, sondern willkommene Befreiung. Und wer einmal das "Pie Jesu Domine", das Herzstück seines Requiems, gehört hat, wird des Komponisten Einstellung zum Tod verstehen. Vor allem, wenn er sie mit dieser suggestiven Wirkung gehört hat, wie Ingrid Fraunholz sie in die Schlichtheit dieser Melodie eingebracht hat, mit einer zu Klang gewordenen Zärtlichkeit, einer kantablen Wärme, die ihren geschmeidig geführten, fülligen Sqpran für diese wenigen Takte zum Instrument einer in Zuversicht schwelgenden Seele machte. Wäre der Tod musikalisch zu erleiden, dann nur so und nicht anders.

Bis auf wenige Stellen scheint die Musik in einem harmonischen Schwebezustand durch die Totenklage zu gleiten. Und Löffler hält diese Linie konsequent und ohne zu schleppen bei. Im "Libera me" allerdings darf der Bass (sauber und geradlinig Bernd-Michael Tack) eine kurze Sequenz dramatischen Potentials zur Geltung bringen und der Chor sein beeindruckendes Stimmvolumen - in Vereinigung mit dem einzigen Auftritt der Posaunen - in eine Kurzzeiterregung versetzen. Zwar geht der Chorsatz nicht über die Vierstimmigkeit hinaus, dennoch, so manches Mal führt er, aufgrund seiner zuweilen engen Stimmführung, schon hart an der Grenze zwischen reinen Dissonanzen und unreiner Intonation entlang. Dafür klingen die Engelsstimmen im letzten Satz "In Paradisum" wie in Honigsüße gelegtes Elysium. Die Soprane in filigraner Leichtigkeit auf Harfenklänge gebettet, geradezu aphrodisierend in ihrer vokalen Zurückhaltung schmiegen sich im abschließenden "habeas requiem" die Männer stimmen ein. Die Fülle des Wohllauts lässt der Seele Flügel wachsen.

Wer wollte, auf der Wolke solcher Verklärung, nicht in die ewige Stille hinübergleiten...?

aus: Günzburger Zeitung vom 27. November 2002

 


Gabriel Fauré (1845 - 1924): Requiem op.48


Gabriel Fauré (1845-1924) gehört zwar zu den wichtigsten Komponisten Frankreichs in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, doch ist seine Musik außerhalb seines Heimatlandes bisher wenig bekannt geworden. Das liegt einmal daran, daß Faurés Hauptwerk im wesentlichen Klaviermusik, Lieder und Kammermusik umfaßt, demgegenüber die Orchesterwerke sehr in den Hintergrund rücken; auch mit nur zwei Opern (Promethee, Penelope) konnte sich Fauré schon in Frankreich kaum ein größeres Publikum erhoffen, geschweige denn in anderen Ländern. Schließlich entzieht sich seine höchst individuelle Kunst der Einordnung in die gängigen stilistischen Kategorien, und auch der vielstrapazierte, im übrigen aber unzutreffende Begriff des "Impressionismus" versagt angesichts der Kunst Faures.

Gabriel Fauré erhielt in Paris an der Kirchenmusikschule Louis Niedermeyers bei C. Saint-Saens seine Ausbildung und wurde Kapellmeister, später Organist an der Madeleine. Nach einem Lehramt an seiner ehemaligen Ausbildungsstätte übernahm er 1896 eine Kompositionsklasse am Pariser Konservatorium und war 1905 bis 1920 Direktor dieses Instituts. Zu seinen Schülern zählen u. a. Maurice Ravel, Charles Koechlin, Florent Schmitt, Roger Ducasse und Nadia Boulanger. Von Saint-Saens, der schon 1878 beim Erscheinen der Violinsonate opus 13 auf Fauré aufmerksam gemacht hatte, war Fauré nachdrücklich auf die Notwendigkeit hingewiesen worden, Kammermusik zu schreiben, die im Jahrhundert der Oper in Frankreich fast völlig vergessen wurde. Mit seinem Lehrer und Cesar Franck gehört er denn auch zu den Erneuerern der französischen Kammermusik. Fauré verläßt in seinem Spätwerk das traditionelle harmonische System. Nunmehr ergaben sich die Zusammenklänge nur noch aus dem linearen Spiel der einzelnen Stimmen. Polyphonie und konstruktives Denken sind wesentliche technische Merkmale seiner Kunst, die frei von außenmusikalischen Anregungen entsteht. Alle Werke Faurés sind durch ein Höchstmaß an Disziplin, durch eine ausdrucksvolle, aber gezügelte Sprache bestimmt, was nicht bedeutet, daß seine Musik nicht auch leidenschaftlich bewegt sein kann. Fauré entzog sich konsequent allen allzu starken Einflüssen. Obwohl Bayreuth-Pilger bis 1896, wurde er nie zum Wagnerianer; er erkannte wohl die Bedeutung der klassizistischen Kunst C, Francks oder der russischen Schule, ohne sich der einen oder der anderen Richtung zu verschreiben.

Er enthielt sich jeder groben Veräußerlichung, jedes vordergründigen Realismus, verzichtete jedoch auch auf ein allzu großes klangliches Raffinement. Die berechtigte Frage, was denn bleibt, wenn man die Extreme auf bei den Seiten streicht, beantwortet Faurés Kunst durch ihre zutiefst menschliche Grundhaltung, die sich dem Hörer oft unmittelbar erschließt. In dieser Hinsicht ist sein Requiem opus 48, komponiert 1887/88, ein beispielhaftes Werk. Fauré hat es in der Erstfassung in der Madeleine aufgeführt, obwohl es der liturgischen Form des Requiem nicht immer konsequent entspricht. So läßt das Werk einige Teile des Requiemtextes unberücksichtigt; vor allem fehlt die an sich für ein Requiem charakteristische Sequenz Dies irae, dies illa bis auf ihre beiden Schlußzeilen. Als eigener Satz (Pie Jesu) erklingen diese erst nach Offertorium und Sanctus, also an unüblicher Stelle.

Das Werk gehört neben den Requiemvertonungen von Brahms, Dvorák und Verdi zu den bedeutendsten Schöpfungen dieser Zeit, doch fällt es weder durch Theatralik noch durch Dramatik auf. Fauré zeichnet kein Bild des Schreckens, sondern eines des gläubigen Vertrauens. Er hält sich nicht streng an das Dogma; seine Religiosität war "Glaube, Liebe, Hoffnung", ganz im Gegensatz zur strafenden Gerechtigkeit eines Christus triumphans, der für ihn doch nur Abbild philiströser Erwartungen menschlicher Gerichtsbarkeit war. Hier berührt sich Fauré mit Gustav Mahlers 2. Sinfonie (1888-1894), besonders der Überleitungsmusik zum Finale mit dem Text der Ode Auferstehn, ja auferstehn von Klopstock. In sieben Teilen tritt uns der ganze Reichtum der Gestaltungsmittel Faurés entgegen. Der Strenge des Introitus folgt das Kyrie mit den für französische Komponisten typischen kurzen Motiven. Eine sehr sonderbare Reminiszenz lassen die Verschränkungen der beiden Stimmen zu Beginn und in der Wiederholung im Offertorium erkennen: sie erinnern an Messensätze der Frührenaissance. Mit dem Baritonsolo Hostias et preces erhebt sich bereits hier jener trostvolle Ton, der das Pie Jesu, das Agnus Dei und den Schlußsatz In Paradisum bestimmt. Unvergeßliche Momente sind das Osanna oder das Dies irae: wenige, sehr konzentrierte Tuttistellen von höchster kompositorischer Ökonomie.

Zwei Komponisten müssen genannt werden, deren Werk Faurés Requiem verpflichtet ist, ohne daß dies die Originalität seiner Komposition schmälerte: Von J. S. Bachs polyphoner Kunst war Fauré zeit seines Lebens beeindruckt, und das Maßvolle, Konstruktive seiner Formen ist ohne das Vorbild Bachs nicht denkbar. Das Französische des Werkes aber, seine Stimmung, seine Motivik, manche harmonische Wendung wie auch die eingängigen Melodien erinnern an die geistlichen Werke Charles Gounods.

Die Instrumentierung hat Fauré ganz in den Dienst des Textausdrucks gestellt. Auffallend an der Partitur ist die geringe Verwendung der Violinen (I. 11 unisono), nur im Sanctus, Agnus, Libera und In Paradisum. Neben der teilweise solistischen Orgel sind Blechbläser, Pauken, Harfe, Flöten, Klarinetten und Fagotte nur an bestimmten TextsteIlen zur Verdeutlichung eingesetzt. Erstaunlich für Fauré, der doch oft die Instrumentierungen seiner Werke Schülern oder Freunden überließ, ist es, daß vom Requiem sogar zwei Instrumentierungen vorliegen, die erste von 1887/88, die zweite in der heute bekannten Form, wie sie der Komponist 1900 für den Druck vorbereitete. In der ersten Fassung fehlen die Holzbläser. 1905 bestand die Besetzung für Aufführungen in der Kirche aus dem Kapellchor mit 30 Knaben (Sopran, Alt), 6 Männerstimmen (3 Tenöre, 3 Bässe) und einem Baßsolo. Das Orchester umfaßte vier Violen, 4 Violoncelli, eine Solovioline, ein Solovioloncello, Kontrabaß, Harfe, Pauken, 2 Trompeten, 2 Hörner, 3 Posaunen und 2 Fagotte.

Als Gabriel Faure am 4. November 1924 starb, erklang sein Requiem zu seinem Gedächtnis. Kein anderes Werk wäre diesem Menschen und Künstler angemessener gewesen.

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